Frankreich - Verdun - Unterwegs im Umland


:: Über die ehemaligen Schlachtfelder hinunter bis nach St. Mihiel

Allen Schlachtfeldern dieser Erde ist eines gemeinsam - nichts kann die Natur und das Leben daran hindern ihr verlorenes Terrain wieder zurückzuerobern. Alles eine Sache von Zeit lassen und Geduld haben. Eigenschaften, die uns Menschen scheinbar abhanden gekommen sind. Vertrauen in die Natur, Respekt vor dem Leben - zwei wichtige Zutaten im Rezept, mit dem Frieden zubereitet wird. Frei nach dem Motto "verweile, siehe und lerne" wurde mein Trip ins Umland von Verdun zu einem Weg der Entschleunigung und der inneren Einkehr. Ich war einfach nur da.

Unterwegs auf der Voie Sacree von Verdun nach Bar le Duc
Unterwegs auf der Voie Sacree von Verdun nach Bar le Duc

Mein erster Ausflug an diesem Tag führte mich die legendäre Voie Sacree entlang. Die Voie Sacree, die heilige Strasse, war und ist die Verbindungsroute zwischen den beiden Städten Verdun und Bar le Duc. 1916 war sie die wichtige Lebensader, die die fast vollständig umzingelte Stadt Verdun mit allen lebenswichtigen und kriegswichtigen Dingen versorgt hatte. Heute ist die Voie Sacree eine unspektakuläre Landstrasse mit der nüchternen Bezeichnung "Route Departementale D 1916". Nur die in regelmässigen Abständen gesetzten rot-weissen Kilometersteine erinnern noch an die Wichtigkeit dieser Strasse, auf der 1916 bis zu 9000 ! Fahrzeuge täglich zwischen Verdun und Bar le Duc verkehrten.

Kaum zu übersehen und ordentlich geputzt
Kaum zu übersehen und ordentlich geputzt

Immer wieder machte ich halt auf meiner Fahrt übers Land und pausierte für eine Weile. Schaute wachsam in die Landschaft, suchte die Stille und verharrte oftmals nachdenklich. Wie mag es hier wohl 1916 gewesen sein? Knatternde Motoren, hektisches Treiben und aus der Ferne das Donnern und Brüllen der Artilleriegeschütze über den Schlachtfeldern. Verdun wurde zur Todesfalle für Hunderttausende. Blutpumpe oder Knochenmühle wurde Verdun zu dieser Zeit genannt. Ein Einsatzbefehl hierher kam 1916 einem Todesurteil gleich. Ich vernahm hier nur das Summen der Insekten, das Rauschen des Windes und die Geräusche der gelegentlich vorbeifahrenden Autos. Eine angenehme und beruhigende Kulisse.

Vielerorts sind noch alte Gräben sichtbar
Vielerorts sind noch alte Gräben sichtbar

In den Schützengräben, die nicht selten nur wenige Meter voneinander entfernt lagen, bekämpfte man sich bis aufs Letzte. In den engen Gräben wurde oft der Klappspaten zum letzten Mittel des Angriffs und der Verteidigung. Mann gegen Mann. Die Überreste wurden von den Ratten entsorgt und die sollen in dieser Zeit richtig dick und fett geworden sein. Heutzutage bringen ferngelenkte Drohnen ihre Bombenlast todbringend sicher ins Ziel. Gelenkt und gezündet aus der Sicherheit einer tausende Kilometer entfernten Kommandozentrale. Welche Art der Kriegsführung ist wohl barbarischer? Ich fand hier viel Zeit zum Nachdenken und um meine eigene Haltung zu überprüfen.

2010 fast ein Kleinod - 1916 ein Volltreffer
2010 fast ein Kleinod - 1916 ein Volltreffer

In den Verteidigungsanlagen Fort Vaux und Fort Douaumont findet man eine Menge skurriler Fundstücke. So auch dieses Relikt im Bild oben. Der Volltreffer einer deutschen 42cm Granate hat den ca. 30cm dicken Stahlpanzer einer Geschützkuppel zerrissen, als wäre sie aus blosem Lehm geformt. Lange Zeit betrachtete ich diesen Stahlsplitter, der vor mir auf der Erde lag. Das bestimmt eine Tonne wiegende Monstrum sieht ansich ganz harmlos aus. Dann schloss ich meine Augen und versuchte mir den Moment des Einschlages vorzustellen. Nach kurzer Zeit gab ich auf. Einfach unvorstellbar. Der Anblick des Stahlfragmentes wirkte in der Gegenwart, vorallem bei diesem herrlichen Wetter, beinahe wie ein Kunstwerk moderner Gartengestaltung. Das Bild von Blumen, die aus Gewehrläufen wachsen, kam mir in den Sinn.

Mutter Natur ist ein beständiges Wesen
Mutter Natur ist ein beständiges Wesen

Ende Mai stand die gesamte Landschaft rund um Verdun in saftigem grün. Im Mai 2010 wohl gemerkt! Im Mai 1916 war hier nur noch die von Menschenhand "angelegte" Mondlandschaft vorzufinden. Die Illusion einer Buckelpiste im Sommer, dem Auenland aus Herr der Ringe oder dem Teletubbie-Land täuscht nicht über die Tatsache hinweg, dass keine dieser Pflanzen auf meinem Photo älter als 95 Jahre sein kann. Ich brauchte viel Vorstellungskraft, um die üppig mit grünem Leben erfüllte Landschaft unter diesem strahlend blauem Himmel mit den schwarz/weiss Aufnahmen aus 1916 in Gedanken zu überlagern. Gut zu wissen dachte ich, dass sich Mutter Natur nicht so leicht ins Bockshorn jagen lässt und stets zur Regeneration fähig ist.

Das Fort de Douaumont
Das Fort de Douaumont

Die alte Feste Douaumont war 1916 eines der grossen Bollwerke der französischen Verteigung. Mehrere Male wurde Douaumont von den Deutschen eingenommen, dann in Teilen wieder an die Franzosen verloren, usw. In den Tiefen der dunklen Gänge, die in mehreren Etagen nach unten angelegt sind, muss sich Unvorstellbares abgespielt haben. Ein Besuch dieser alten modrigen Anlagen ist nichts für empfindsame Gemüter. Die Enge und Dunkelheit sowie die modrig, feuchtkalte Kellerluft der Anlage ist nicht Jedermanns Sache. Während wir die Aussenanlagen erkundeten, erlitt dann auch tatsächlich eine Besucherin einen Kreislaufzusammenbruch. Sie musste von einem Sanitätswagen versorgt und abgeholt werden. Ich kannte meine Grenzen an diesem Tag und liess deshalb den Besuch der Feste Douaumont aussen vor.

Das Fort Vaux
Das Fort Vaux

Auch Fort Vaux, die zweite grosse Verteigungsanlage rund um Verdun, bot ein ähnliches Bild wie Fort Douaumont. Wer sensibel ist für, ich nenne es mal vorsichtig "negative Schwingungen", sollte sich auch hier den Besuch der Innenanlagen sehr gut überlegen. Gut, dass an diesem Tag das Wetter ausserhalb dieser Katakomben herrlich war. Mit blauem Himmel, Sonnenschein und nahezu 30 Grad im Schatten verwöhnt zu werden, motiviert zu anderen Zielen, als sich den Grüften des Todes zuzuwenden. Wir beschlossen an diesem schönen Frühsommertag noch weiter in südliche Richtung zu fahren. St. Mihiel mit seinen trutzigen Kirchenbauten und der vom Jugendstil geprägten Innenstadt war das Ziel.

Traumwetter in St. Mihiel
Traumwetter in St. Mihiel

Auch das Städtchen St. Mihiel hat eine eng mit den Geschehnissen des 1. Weltkrieges verbundene Geschichte. Hier war es vorallem das Eingreifen amerikanischer Soldaten in die Kampfhandlungen, die im letzten Kriegsjahr 1918 die Wende für die Alliierten brachte. Der 1. Weltkrieg war die erste kriegerische Handlung, in der amerikanische Soldaten ausserhalb des eigenen Landes massiv an den Kampfhandlungen teilnahmen. Das Zeitalter der Globalisierung, mit all seinen Vor- und Nachteilen, war nicht mehr aufzuhalten. Uns stand beim Ankommen in St. Mihiel der Sinn erst einmal nach etwas Essbarem. Auf einem kleinen Platz inmitten der Stadt lud ein Lokal zum draussen sitzen ein. Wenn man schon mal in Lothringen ist, sollte man zumindest die Quiche Lorraine probiert haben. Hausgemachter Rhabarberkuchen, der der Lokalspezialität Quiche Lorraine zum verwechseln ähnlich sah, machte dann aber das Rennen und schmeckte himmlisch. Um 14 Uhr schloss die Ladenbesitzerin ihr Kaffee und wir waren die letzten Gäste auf ihrem Freisitz. Als wir ihr schnell noch halfen unsere Gedecke reinzutragen, wurden wir als Deutsche "entlarvt". Wir drei fanden das sehr amüssant und konnten herzlich darüber lachen.

Eglise Saint-Etienne in St. Mihiel
Eglise Saint-Etienne in St. Mihiel

In St. Mihiel gibt es zwei bedeutungsvolle Kirchen. Die Eglise St. Etienne wurde 1545 eingeweiht. Von aussen versprüht dieser trutzige Kirchenbau den Charme einer Wehranlage. Auch die Innengestaltung fällt eher spartanisch aus. Eine besondere Sehenswürdigkeit von St. Etienne ist allerdings das Werk des Bildhauers Ligier Richier. Gebürtig 1500 in St. Mihiel und einst an der Schule von Michelangelo in Italien ausgebildet, hat er mit seiner übermannsgrossen Skulpturengruppe "die Grablegung Christi" der Eglise St. Etienne ein Kunstwerk von grosser Bedeutung hinterlassen. In der zweiten grossen Kirche in St. Mihiel, der Abtei St. Michel ist ebenfalls ein Werk des Künstlers zu sehen. "Die Ohnmacht Mariens" lautet der Titel der ausgestellten Skulpturengruppe. St. Michel, die auf eine Benediktiner Abtei bis ins Jahr 708 zurückgeht, beherbergt zudem noch eine grossartige Bibliothek. Über 8700 Bücher, teils mit religiösem aber auch mit weltlichen Inhalten finden sich in der Sammlung. Darunter auch Manuskripte, die zurück bis ins 9 Jahrhundert datiert werden können.

Glasfenster im Inneren von Saint-Etienne
Glasfenster im Inneren von Saint-Etienne

Nochmals zurück zur Eglise St. Etienne. Der eigentliche Zauber dieser äusserlich recht unschmucken Kirche, zeigt sich erst in ihrem Inneren. Absolut bemerkenswert sind hier nämlich die Kirchenfenster. Von aussen dunkelgrau, fast schwarz, entfalten diese herrlichen Glaskunstwerke bei Lichteinfall von aussen im Innenraum der Kirche einen prächtigen Farbenzauber. Wie beim Blick durch ein Kaleidoskop schillern die Farben über Boden und Wände und tauchen das gesamte Kircheninnere in alle nur erdenkliche Farben.

Noch eine kurze Anmerkung zum oben erwähnten Begriff der Globalisierung. Warum der grosse Krieg von 1914 - 1918 als der 1. Weltkrieg oder auch als "die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" in die Geschichtsbücher einging, wird ersichtlich, wenn man sich den Aussdehnungsbereich der Kampfgebiete anschaut. Zudem waren viele der Kriegsteilnehmenden Nationen sogenannte Kolonialstaaten wie z.B. das englische Empire. Sie rekrutierten ihre Soldaten aus der ganzen Welt. Dieser Umstand brachte Effekte mit sich, deren Ausmass bis dato noch niemand realisieren konnte. So kam z.B. ausgehend von Amerika ein unsichtbares Problem in Form eines Grippevirus mit nach Europa, dessen Auswirkung verheerend war. Die sog. spanische Grippe raffte in den Jahren 1918 - 1920 weltweit schätzungsweise mehr als 25 Mio., manche Quellen sprechen sogar von 50 Mio. Menschen, dahin. Niemand zog damals ins Kalkül, dass der massive globale Transport von Soldaten rund um den Erdball auch die rasche Ausbreitung von Seuchen mit sich bringen kann. Die erste Pandemie der Menschheitsgeschichte wurde hiermit konsolidiert und stellte die mittelalterliche Pest ohne Weiteres in den Schatten.