Frankreich - Verdun, die Gedenkstätte
:: Verstehen, Versöhnen und Erinnern. Eine Stadt und ihr Umgang mit der Geschichte
Von den Grabenkämpfen im Jahr 1916, bis zum öffentlichen Bekenntnis zur deutsch-französischen Versöhnung im September 1984 vor dem Beinhaus von Douaumont, lag ein langer Weg. Die Gedenkstätten und Denkmäler in und um Verdun waren und sind seit Jahrzehnten ein wichtiger Teil im kollektiven Gedächtnis der französischen Bevölkerung. Der 1. Weltkrieg, oder auch "Grande Guerre" wie ihn die Franzosen nennen, war "ihr" grosser Krieg gegen den Erzfeind Deutschland. Am 21. Februar 2016 jährte sich der Beginn der grossen Offensive vor Verdun zum 100. mal. Vieles seit meiner zweiten Reise nach Verdun im Mai 2010 hat sich verändert. So wurde im Februar 2014 zum ersten mal der Name eines deutschen Gefallenen in eine Gedenkplatte im Inneren des Beinhauses eingraviert. Auch das im Februar 2016 nach Umbau wieder eröffnete Memorial de Verdun, zeigt heute das Leiden und Sterben sowohl der französischen, als auch der deutschen Soldaten. Verdun wird dadurch mehr und mehr zu einer binationalen Gedenkstätte. Ein bemerkenswertes Zeichen der Aussöhnung, wie ich finde.
Als ich im Juni 1991 bei grauem und wolkenverhangenem Himmel dieses Bauwerk und das Feld mit den weissen Kreuzen zum ersten Mal sah, lief es mir kalt den Rücken hinab. Weit über 1000 dieser Kreuze stehen, ordentlich in Reih und Glied, soldatengleich, zu Füssen des Beinhauses von Douaumont im Boden. Auf diesem Hügel, dem sogenannten Thiaumont Rücken gab es einst eine Ortschaft namens Fleury-devant-Douaumont. Die Ortschaft wurde nach Kriegsende nicht mehr wieder aufgebaut, da faktisch nicht mehr vorhanden. Anstatt dessen wurde hier das Ossuaire de Douaumont errichtet. Eine Ruhestätte für die nicht mehr identifizierbaren sterblichen Reste von ca. 130.000 deutschen und französischen Soldaten.
Selbst bei sonnigem Wetter und strahlend blauem Himmel verliert dieses graue Bauwerk nichts von seiner Monströsität. Das Beinhaus ist ca. 140 Meter lang und der Turm erreicht eine Höhe von 46m. Im Untergeschoss des Beinhauses befinden sich die Knochenkammern. Dort werden die Gebeine von ca. 130.000 Gefallenen beider Nationen aufbewahrt. Durch ein Fenster in der Gebäuderückseite kann man von aussen in die Knochenkammern blicken. Ganz anders als der äussere Eindruck, wirkte der Innenraum auf mich. Warmes und weiches orangefarbenes Licht durchflutet das lange, tonnenförmige Gewölbe. Ein unglaubliches Gefühl von Würde und Andacht spiegelt die Atmosphäre im Inneren wieder. Sämtliche Besucher verharren in Schweigen und Stille. Myriaden von Inschriften, Namen von Gefallenen und Bezeichnungen der jeweiligen Hauptsektoren der Schlachtfelder zieren die Wände und die Decke der Gedenkstätte. Damit hatte ich nicht gerechnet. Stundenlang hätte ich hier noch bleiben können. Wegen (berechtigtem) Photographierverbot im Inneren, kann ich Euch leider dazu keine Bilder zeigen. Nach einem abschliessenden Besuch der Kapelle innerhalb der Anlage lockte mich das herrliche Wetter dann wieder nach draussen. Schliesslich wollte ich noch die weitläufigen Aussenanlagen und den Friedhof für die gefallenen Muslime besuchen.
Eine weitere wichtige Station auf meinem Streifzug war das Museum Memorial de Verdun. Hier erlebte ich während meines ersten Aufenthalts in Verdun ein Schlüsselerlebnis. Im Untergeschoss dieses Museums sind viele Fundstücke ausgestellt, die das Leben in den Kampfgräben anschaulich demonstrierten. Im Jahr 1991 besuchte ich auch die ebenfalls im Untergeschoss angebotene Lichtbildvorführung mit Originalaufnahmen aus dem Jahr 1916. Die Diashow war mit einer Tonkulisse unterlegt, die das damalige Schlachtfeldszenario eindrucksvoll nachzubilden versuchte. Uff! Nix für schwache Nerven! Sensitiver Bildjournalismus war 1916 noch unbekannt. Wer eine Kamera besaß, hielt auf alles drauf, was man an der Front so erlebte. Je greulicher - desto besser, war das Motto! Erinnert irgendwie an die heutige Unart, alles mit der Handycam abzulichten, ums ins Netz stellen zu können! Diese Bilder zeigten absolut schonungslos die Grauen dieses Krieges. Bilder, die in Worten nicht zu beschreiben sind und die ein langes Echo in meinem Gedächtnis hinterliessen. Nichtwissend, ob die Vorführung von 1991 mittlerweile "entschärft" wurde, blieb ich bei meinem 2010er Besuch aus Rücksicht auf mich selbst der Vorstellung fern.
Der Bajonettgraben bzw. Tranchee de Bajonnettes ist eine Gedenkstätte, die im rückwärtigen Gelände zum Beinhaus von Douaumont liegt. Hier sollen mehrere Soldaten während starkem Artilleriebeschuss, stehend in ihrem Graben verschüttet worden sein. Lediglich die Bajonette ihrer Gewehre, sollen noch aus dem Erdreich ragend, zu sehen gewesen sein. Man habe die Soldaten so in ihrer Position belassen und als beerdigt angesehen. Bis heute scheiden sich die Geister, wieviel Wahres an dieser Geschichte dran ist. Trauriger Fakt aber ist, dass vor einigen Jahren Souvenirjäger die verbliebenen Überreste der Bajonette abbrachen und entwendeten. Heute sieht man davon nur noch die einzementierten Gewehrlaufspitzen aus dem Erdreich ragen. In dem langezogenen aber relativ niedrigem Mausoleum aus Beton, dass die Stelle der Bajonette bzw. Gewehrlaufspitzen überdacht, werden häufig von Besuchern Kerzen entzündet sowie Blumen und Kränze niedergelegt.
Wieder zurück in der Stadt, stand der Besuch der unterirdischen Zitadelle von Verdun auf dem Programm. Dieses Bauwerk wurde wie kein anderes zum Zeichen des ungebrochenen Widerstandes der Franzosen während des 1. Weltkrieges. Die Zitadelle mit ihren kilometerlangen, unteriridischen Gängen war die wichtigste Nachschubeinrichtung der französischen Truppen in Verdun. Eine Bäckerei mit eigener Mühle, Geschäfte aber auch Waffen- und Munitionslager waren hier untergebracht. Die Schlaf- und Speiseräume boten den kämpfenden Truppen vor und um Verdun einen sicheren Ruheort. Anders als die deutsche Heeresleitung, wechselten die Franzosen ihre Truppen der ersten Frontlinie alle drei Wochen aus. Den Hauptpfad der unterirdischen Gänge kann man heute bequem in einem offenen Elektrowägelchen abfahren. Begleitet von einem viersprachigen Audioguidesystem, können die Replikate der damaligen Einrichtung besucht werden. Gelenkt wird das Vehikel automatisch. Die Rückkehr an den Ausgangspunkt sollte somit gewährleistet sein. Am Ende der Fahrt erreicht man einen besonders symbolträchtigen Ort und man wird Zeuge einer feierlichen Zeremonie. Hier am Halte- und Ausstiegspunkt der Fahrt, wurde durch den Obergefreiten Auguste Thin nach Kriegsende aus 6 aufgebahrten Särgen einer ausgewählt. Inhalt dieser Särge waren unbekannte französische Soldaten, die in der Schlacht um Verdun gefallen waren. Der ausgewählte Leichnam ruht bis heute im Grab des "unbekannten Soldaten" unter dem Arc de Triomphe in Paris.
Die grosse Siegessäule ziert den Stadtmittelpunkt von Verdun. Dieses Denkmal wurde errichtet, um den Sieg über die deutsche Armee zu feiern. Das Halten der Stadt Verdun in der Schlacht von 1916, wurde zu einer französischen Heldentat empor stilisiert und die Feste Verdun galt eine zeitlang als das Bollwerk gegen Deutschland schlechthin. Ein Irrtum, wie sich in der grossen Westoffensive der deutschen Wehrmacht im Sommer 1940 zeigte. Die Zeit der Grabenkämpfe und der schwerfälligen Artillerie war längst vorbei. Anders als 1916 verfügte Deutschland 1940 über schnell agierende und kampfstarke Panzerverbände. Frankreich wurde im Handstreich genommen. Nach der Einnahme von Verdun durch die deutsche Wehrmacht im 2. Weltkrieg, wehten hier an der grossen Siegessäule die Fahnen des dritten Reiches. Es ist wohl dem Umstand zu verdanken, dass die Schlacht um Verdun im dritten Reich zu einem eigenartigen deutschen Mythos verklärt wurde, der dafür sorgte, dass die Denkmäler in und um Verdun nicht zerstört wurden. Was für eine Schmach für das besiegte französische Volk! Wehten doch ab 1940 allerorts die deutschen Hakenkreuzfahnen an den Denkmälern ihres Verdun.
Auf dem felsigen Vorsprung oberhalb der Stadt Verdun thronen zwei Bauten, die man weithin sehen kann. Die älteste Kathedrale Lothringens, die Cathedrale Notre Dame de Verdun verfügt unter anderem über einen wunderschönen Kreuzgang der einen Besuch lohnt. In unmittelbarer Nähe zur Kathedrale gelegenen befindet sich die ehemalige Bischhofsresidenz, die heute das Weltfriedenszentrum - Centre mondial de la Paix beherbergt. Zahlreiche Ausstellungen und Installationen zum Thema Frieden, dass sich programmatisch auch mit dem Krieg auseinandersetzt, finden in den Räumen des Centre mondial de la paix einen Platz. Anders als in Verdun vermutet, geht es aber um zeitaktuelleres Geschehen. Themen wie z.B. der Holocaust oder die Konflikte im nahen Osten werden facettenreich bearbeitet. In den Jahren 2014 - 2018, vorallem aber 2016 kehrt, bedingt durch die 100. Jährung der Schlacht um Verdun, das Thema 1. Weltkrieg wieder in den Mittelpunkt der Arbeit am Centre mondial de la paix zurück. Ein würdiger Ort für eine Institution mit dem Namen Weltfriedenszentrum in dieser Stadt, in der das Erinnern und Auseinandersetzen mit dem starken Dipol Krieg und Frieden irgendwie vorherbestimmt scheint.
Was lange währt wird endlich gut! Hier, am Eingang zum Beinhaus von Douaumont, trafen sich im September 1984
der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident Francois Mitterrand zu
einem wichtigen Akt der Versöhnung. An den Händen haltend sprachen sie die folgenden Worte und unterstrichen
damit ihre starke Geste:
"Wir haben uns versöhnt. Wir haben uns verständigt. Wir sind Freunde geworden."
Eine beeindruckende Geste und ein wichtiger Schritt zur Aussöhnung der seit Jahrhunderten verfeindeten
Völker. Eine bronzene Tafel mit den Worten der beiden Staatsmänner erinnert daran.
Mein Reisefazit
Was blieb bei mir hängen von meiner aussergewöhnlichen Reise? Dass die Franzosen freundliche und offene Menschen wie Du und ich sind. Oder, dass es immer eine Rolle spielt, wie man in den Wald hineinruft. Diese ansich trivialen Erfahrungen, hätte ich bestimmt an anderen Orten auch machen können. Aber warum hat es mich ausgerechnet noch einmal nach Verdun gezogen? Die Antwort darauf fand ich erst nach meiner Rückkehr. Vielen Menschen widerfährt auf ihrem Lebensweg grosses Leid - erleben ihr ganz persönliches Verdun. Mich mit eingeschlossen. Innerliche wie äusserliche Narben bleiben und erinnern daran. Ähnlich dem Landschaftsbild des ehemaligen Champ de Bataille rund um Verdun. Die regenerative Kraft der Natur an diesem einst so geschundenen Ort zu sehen und zu spüren, gab mir viel Kraft und neue Zuversicht. Narben dürfen sein - zeugen von einem gelebten Leben. Narben brauchen aber weder ein Mausoleum, um zum Gedenken weggesperrt zu bleiben noch eine heldenhafte Verehrung durch Verzerrung der Wahrheit. Die Dinge sind wie sie sind. Geduld mit sich selbst und Vertrauen in sich reichen meistens schon aus, um sich selbst wieder zu regenerieren. Und nicht zuletzt ging es bei meiner Reise auch darum, meine eigene Haltung hinblicklich der Frage "in welcher Welt will ich leben?" zu überprüfen. Prinzip Achtsamkeit und Hoffnung erscheint mir als eine gute Lebensstrategie. So könnts funktionieren.